Agenturnews: Pizza, Cola und Vitamin D-Mangel - Frauentag im Nerdkeller

Pizza, Cola und Vitamin D-Mangel - Frauentag im Nerdkeller

Frühling und Sommer sind keine einfache Zeit für mich. Das ganze Licht, zwitschernde Vögel, unerklärliche Heiterkeit allerorten bei Mensch und Tier. Wenn ich meine Grindcore-Band-Shirts von der Wäscheleine nehmen will, geht das nur noch im schummrigen Licht vor Sonnenauf- und nach Sonnenuntergang – sie bilden mit ihrem ausgewaschenen Schwarz und Anthrazit tagsüber die einzige das Auge beruhigende Masse wohltuender Dunkelheit in einer viel zu grellen Welt. Aus dem gleichen Grund liebe ich Cola.

Corona kommt mir entgegen; inzwischen wundert sich ja kaum ein Pizzabote mehr, wenn er die Schachtel einfach durch den Pizzaschlitz meiner Bunkertür schieben oder sie auf die Kohlenrutsche zum Keller legen soll – bezahlt ist bereits, kontaktlos. Je weniger Menschen ich treffen muss, desto weniger stört es auch, dass ich den Tag in Boxershorts verbringe und mir nur selten die Haare wasche – in der Vergangenheit haben Leute da manchmal komisch reagiert. So muss ich auch nicht ganz so bald wieder zu Schlecker, die Shampooflasche ist noch halb voll. Es ist eigentlich auch ganz praktisch, wenn man seine ohnehin etwas spärlichen Haare in zusammenhängenden Portionen aus dem Weg legen kann, gern mit ausgeleiertem Zopfgummi. Einziger Nachteil der Pandemie: Seit alle Kundentermine online stattfinden, wird erwartet, dass ich auch teilnehme. Früher hab ich das beharrliche Klopfen an der Kellertür einfach ignoriert, heute werde ich mit Teams-Einladungen bombardiert. Sie in ein Ticket-System umzuleiten funktioniert nur bedingt. Allerdings kann mich keiner zwingen, den Streifen Panzertape von meiner Webcam zu entfernen. Wie kann man dermaßen naiv sein, anzunehmen, ein Laptop wäre dein Robin und immer nur dann im Einsatz, wenn du ihn brauchst?! Überwachung findet immer und überall statt.

 

Ein ganz normaler Tag als Frontend-Entwickler(in).

 

Eigentlich wäre es schon etwas witzig, wir wären so. Und irgendwie auch nicht.

Tatsächlich hatte ich im vergangenen Herbst kurz eine mittlere Sinnkrise: Ganz ohne Vorwarnung war mir aufgefallen, dass beruflich um mich herum viele Frauen und Männer eher konventionell-geschlechtstypische Jobs haben. Mitten in einem Technik-Call mit Kollegen einer anderen Agentur: Ich war der einzige weibliche Teilnehmer. Plötzlich fühlte ich mich völlig deplatziert; das war mir die ganzen Jahre davor einfach nie aufgefallen. Es war, als hätte jemand mit den Fingern geschnippt und ein Vorhang wäre gefallen. Ich war auf einmal eine Art beruflicher Geisterfahrer, vor dem wahrscheinlich im Radio gewarnt wurde.

Auch bei uns machen die Mädels üblicherweise Design, während die Jungs die „handfesten“ Aufgaben erledigen. In Agenturen, mit denen wir zusammenarbeiten, gleiches Bild: Frauen machen das Design oder allerhöchstens Projektmanagement. Wo sind alle Technik-Mädels? Die können ja wohl nicht alle grade in Mutterschutz und Elternzeit sein?

Alles, was irgendwie mit Coden zu tun hat, machen Männer – zumindest in Westeuropa. Die einzige Ausnahme in meinem Kosmos bildet der Standort Cluj unserer +pluswerk-Agenturgruppe in Rumänien. Dort machen Frauen mysteriöserweise auch Frontend- und Backend-Entwicklung. Sollte ich also besser mein MacBook runterfahren, versuchen nichts weiter kaputt zu machen, und leise gehen? Kurz zog ich das in Erwägung. Ich konnte bloß froh sein, bisher keinen größeren Schaden angerichtet zu haben…

Wenn sich bei uns Mädels bewerben, wollen die Design machen – immer. Schöngeistiges und Zartes, wenn man gemein sein will. Auch ich hab sowas studiert, ich habe einen Bachelor in On-Air- / TV-Design. Das beinhaltete zwar auch Kamera- und Studiotechnik, aber insgesamt könnte man das auch eher als „Irgendwas mit Medien“ abtun.

Vor 15, 20, 25 Jahren, als ich in der Schule war, wurde – rückblickend – überhaupt nicht in Richtung IT, Technik oder irgendwas Ähnliches gefördert – auch nicht bei den Jungs. Nicht mal informiert. Unser Informatikunterricht (am humanistischen Gymnasium) war ein Witz; dort haben wir gelernt, wie man in Word Querformat einstellt und die Seite in zwei Hälften á DIN A5 teilt, um mit Word-Art eine Geburtstagseinladung zu basteln. Als ich dann als Einzige aus dem Jahrgang noch die ECDL-AG (European Computer Driving Licence) gemacht hab, wurde das schon auch irgendwie komisch beäugt – möglicherweise aber auch, weil das Freitags in der 9. und 10. Stunde stattgefunden hat; man musste also schon einen kleinen Hau haben, da freiwillig teilzunehmen. Es gab keinerlei sinnvolle Berufsberatung, aus der hätte hervorgehen können, dass das, was ich heute tue, haargenau mein Ding ist. Und angesichts der bei uns eintrudelnden Bewerbungen, die immer noch tabellarische Lebensläufe mit den Berufen der Eltern enthalten, fürchte ich, das ist heute noch so. Schule scheint ziemlich lebensfern zu sein.

Ich kam nur über Umwege darauf – aber ich kann mir heute nichts Cooleres und Erfüllenderes vorstellen, als meinen Arbeitstag mit Frontend Development zu verbringen! Vielleicht geht es aber schon damit los – jemand Außenstehendes kann sich darunter nicht wirklich was vorstellen. Ich zum Beispiel arbeite, grob zusammengefasst, mit dem Contentmanagementsystem (die nächste Wort-Hürde) TYPO3, mit HTML, CSS, JavaScript, etwas PHP. Ich baue das, was der Webseitenbesucher sieht – und auch noch ein bisschen von dem, was dahinter liegt. Außerdem machen ich Workshops mit Kunden, in denen ich ihnen die Bedienung von TYPO3 erkläre, mache Telefonsupport für jeglichen in der Agentur anfallenden Kleinkram (das tut bei uns übrigens jeder) und Bürozeug. Aber: Auch beim Programmieren habe ich immer kreative Spielräume. Meistens liegt das daran, dass es beim Weblayout schnell gehen musste und Irgendwas nicht bedacht werden konnte und daher on the fly beim Bauen entschieden werden muss. Das passt mir gut in den Kram, denn ich hab mich früher beim Gestalten oft verzettelt und stundenlang in Kleinigkeiten verloren. Gestalterische Freiheit in abgestecktem Bereich – perfekt!

Warum nun aber wäre es eigentlich doch nicht so witzig, wenn es im Entwickler-Team so wäre, wie am Anfang gesponnen? Was soll falsch sein an einer gesunden Sozialphobie, Pizza und Cola, es gibt doch Vitamin D-Tabletten? Falsch an der Vorstellung finde ich, dass der Nerd in dem Bild ein Mann ist. Oder ist das bei dir im Kopf anders?

Ich würde es wirklich cool finden, wenn mehr Mädels den Weg in diesen Bereich finden würden, denn die Arbeit macht wirklich Spaß – und es sollte eigentlich dabei egal sein, welches Personalpronomen man benutzt. Es würde mich freuen, wenn es für meinen und ähnliche Jobs nicht immer eine besondere Planetenkonstellation bräuchte, um den Weg dorthin zu finden. Es wäre cool, wenn es, ähnlich wie den Kunstunterricht, der die meisten Mädels vermutlich auf den Designpfad geführt hat, ein Äquivalent geben würde, das in unsere Richtung zeigt. Die Jungs hauen einen auch nicht, versprochen.

Bewerbt euch mal, Mädels – und bis dahin halte ich die Fahne hoch. Prost – und einen schönen Frauentag!

PS: Selbstverständlich bekam ich am Tag nach meiner Sinnkrise im Daily den Kopf zurechtgerückt. Niemand denkt, ich sollte besser gehen und keine Knöpfchen mehr drücken. Danke an das Team! ♥️

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